Schreiben als Un-Ordnen in der Literatur ab dem 20. Jahrhundert
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Organisation: Leonie Bartel, Margarethe von Campe Hauptgebäude, Raum 2070AKeynote am 8. Oktober: Achim Geisenhanslüke (Frankfurt am Main)
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Organisation: Leonie Bartel, Margarethe von Campe
Hauptgebäude, Raum 2070A
Keynote am 8. Oktober: Achim Geisenhanslüke (Frankfurt am Main)
Wer literarisch oder theoretisch schreibt, schafft Ordnung. Literarische Ordnung, wie auch ihr Pendant Unordnung, verstehen wir insofern als Prozess, als Set von Verfahren, und sprechen daher eher vom (Un-)Ordnen als von (Un-)Ordnung. Dabei verrät dieses Ordnen zugleich, dass es eigentlich nicht selbstverständlich ist. Was geordnet wird, ist bisher entweder zu wenig, gar nicht oder falsch geordnet. Hinter, unter, vor, nach, in textuellen Ordnungsverfahren stecken also immer auch Unordnungen. Unordnung bzw. Un-Ordnen ist für uns daher nicht das radikal Gegenteilige von Ordnung, wie es etwa die Chaosbeschreibungen verschiedener Schöpfungsmythen charakterisieren (Hesiod, Ovid), sondern untrennbar mit dem Ordnen verbunden. Ordnen und Un-Ordnen können jederzeit ineinander umschlagen. Lässt sich literarisches Schreiben also nicht nur als Ordnen, sondern auch als Un-Ordnen verstehen? Diese Dialektik von Schreiben als Un-Ordnen wollen wir in unserer Nachwuchstagung untersuchen.
Ausgehend von verschiedenen Umwälzungen in der klassischen Moderne interessieren uns textuelle Verfahren des Un-Ordnens in der Literatur ab dem 20. Jahrhundert. In der Moderne werden Macht- und Ordnungsstrukturen mobil, flüchtig und ständig veränderlich; die Sprachphilosophie bringt den linguistic turn, der sprachliche Zeichen nicht mehr als Abbilder außersprachlicher Realität begreift, sondern als Ordnungssystem von arbiträren und relational funktionierenden Referenzen. Die Prozessualität und Relationalität von Ordnung und Unordnung ist für uns insofern spezifisch modern. Seitdem hat sich Literatur zu einem Ort entwickelt, an dem instabil gewordene Ordnungen problematisiert und reflektiert
werden.
Unordnung und Prozesse des Un-Ordnens wurden bisher in den Sozialwissenschaften (Bröckling et al. 2015) und der Philosophie (Lavagno 2012) theoretisiert und methodologisch erschlossen. Die Literatur- und die Kulturwissenschaft hat sich auf spezifische Figuren, Störfälle in Wissensordnungen, die poetische Gestaltung sozialer Ordnung(sprobleme) und Exzesse als Überschreitung von Ordnungsgrenzen konzentriert (Geisenhanslüke/Mein 2009, Bähr et al. 2009, Bäumler/Bühler/Rieger 2011). Diesen Arbeiten wollen wir eine weitere literaturwissenschaftliche Perspektive hinzufügen, die nach den konkreten textuellen Verfahren des Un-Ordnens fragt.
Unser Fokus liegt auf den Schreibverfahren, der Materialität und Medialität des Un-Ordnens. Wie werden Überschreitungen von Ordnung, die Übergänge von geordnet in ungeordnet und andersrum, das Wuchern von Text über Ordnungsgrenzen hinaus inszeniert? Wo und wie erzeugen Texte Störungen, Rauschen beim Ordnen und wie gehen sie mit diesen um? Welche agency und Eigenlogiken entfalten sich beim Un-Ordnen? Inwiefern betreffen Probleme des Un-Ordnens nicht nur Form und Inhalt eines Textes, sondern auch die Textentstehung selbst, den Weg vom Entwurf zum Werk?
Mittwoch, 8. Oktober 2025
14:00-14:30 Uhr
Leonie Bartel & Margarethe von Campe (Berlin): Einführung
14:30-16:15 Uhr
Alessa Hamel (Magdeburg): „Und ein Trottel ist, wer das Chaos mit einem Misthaufen verwechselt!“ Dada und das Ordnungsprinzip Buchreihe in Die Silbergäule
Walter Schilling (Lausanne): Hans Arps Un-Ordnungen in die wolkenpumpe. Zeitschrift – Einzelausgabe – Werkausgabe
16:30-18:15 Uhr
Julian Fischer (Bochum): Krieg der Ordnungen. Textuelle Strategien der (Un-)Ordnung in Edlef Köppens Heeresbericht
Max Kaplan (Berlin): The (Dis)Order of the Catalog: Embodying the Internal Disturbance of War through the Ordering Mechanism of the Catalog in Sinan Antoon’s The Book of Collateral Damage
18:30-20:00 Uhr
Keynote: Achim Geisenhanslüke (Frankfurt am Main): Ordnung in Bewegung. Für eine Poetik des Rhythmus
Donnerstag, 9. Oktober 2025
10:00-11:15 Uhr
Margarethe von Campe (Berlin): Groteske Verfahren in Carl Einsteins Bebuquin
Sophie Gesau (Berlin): Weltverlust und Abscheu. Affektives Un-Ordnen in Sartres Der Ekel
11:45-13:30 Uhr
Johanna Fehrle (Berlin): Dokumentieren, Archivieren, Wieder-Schreiben. Die elterliche Schreibschule als Ordnen der Psyche bei Hanns-Josef Ortheil
Felix Latendorf (Berlin): Umordnungsprozesse als Katalysatoren literarischer Kreativität und poetologischer Kontemplation bei Günter Eich und Peter Rühmkorf
14:30-16:15 Uhr
Clemens Braun (Wien): „ich ordnete, ordnete und schaffte mir dadurch die größte Unordnung”. Verwaltungskultur und Schrift-Ordnung bei Thomas Bernhard
Johanna Käsmann (Erfurt): Un-/Geordnetes metaleptisch schreiben. Zur Literarisierung des Geheimdienstes in Wolfgang Hilbigs Eine Übertragung (1989)
16:45-18:30 Uhr
Eva Goldbach (Berlin): Prekäres Erzählen in Elfriede Jelineks Die Liebhaberinnen und Die Klavierspielerin
Raphaela Deffner (Augsburg): (Un)Geordnete (Un)Ordnung in Jenny Erpenbecks Dinge, die verschwinden
Freitag, 10. Oktober 2025
10:00-11:15 Uhr
Tobias Orfgen (Siegen): „umstellt von Unverständlichkeiten“. Verfahren der Störung chronologischer Ordnungsstrukturen in Roman Ehrlichs Malé (2020)
Leonie Bartel (Berlin): Wissen un-ordnen, Nichtwissen ordnen. Nele Stuhlers Keine Ahnung (2021) zwischen Vorlesung und Fußnote
11:45-12:30 Uhr
Abschlussdiskussion
Zeit
8. Oktober 2025 14:00 - 10. Oktober 2025 12:30(GMT+02:00)