Marcel Proust und das Judentum
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Organisation und wissenschaftliche Koordination: Prof. Dr. Reiner Speck Dr. Alexis Eideneier 125 Jahre nach Beginn der Dreyfus-Affäre ist das Thema „Marcel Proust und das Judentum“ erstmals Gegenstand einer wissenschaftlichen Tagung in Deutschland.
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Organisation und wissenschaftliche Koordination:
Prof. Dr. Reiner Speck
Dr. Alexis Eideneier
125 Jahre nach Beginn der Dreyfus-Affäre ist das Thema „Marcel Proust und das Judentum“ erstmals Gegenstand einer wissenschaftlichen Tagung in Deutschland. Das Anliegen des Symposions der Marcel Proust Gesellschaft ist es, der Vielfalt jüdischer Sujets im Werk des französischen Autors, aber auch in seinem Leben und in der Rezeptionsgeschichte seines literarischen Œuvres im Zusammenhang nachzugehen.
Bei der Suche nach den Spuren des Judentums im Roman A la recherche du temps perdu ist es unabdingbar, sich biografische Aspekte in Erinnerung zu rufen: Marcel Proust kam als Sohn einer jüdischen Mutter und eines katholischen Vaters zur Welt und wurde katholisch getauft. Doch da gemäß jüdischer Tradition Jude ist, wer von einer jüdischen Mutter geboren wird, könnte man ihn durchaus auch als Juden bezeichnen. Er war seiner jüdischen (nicht streng religiösen) Pariser Verwandtschaft, die ihm ein intellektuell stimulierendes Umfeld bot, stets eng verbunden. Seit seiner frühen Kindheit oszillierte sein Leben zwischen Judentum und Christentum. Dieser Riss zeichnet auch sein Werk aus.
Prousts Verhältnis zum Judentum, wie es sich in seinem Werk widerspiegelt, ist in hohem Maße ambivalent: Das „Jüdische“ in dem oft als „jüdischer Roman“ bezeichneten Recherche lässt sich nicht ohne Weiteres bestimmen. Im Zuge der Dreyfus-Affäre, die die französische Gesellschaft ab 1894 über Jahrzehnte hinweg spaltete und Antisemitismus erneut aufflammen ließ, zeigt die schillernde Zeichnung der Figuren das ganze Spektrum vorstellbarer (jüdischer wie nicht-jüdischer) Positionen zum Judentum: Diese reichen vom kruden Antisemitismus zur jüdischen Selbstverleugnung und sogar zum Selbsthass, aber auch vom Bekenntnis zum eigenen Judentum zu philosemitischer Weltoffenheit, wie sie besonders markant in den Figuren des Baron de Charlus, Blochs und Swanns, aber auch Gilbertes und Rachels zu Tage treten.
Darüber hinaus erscheinen auch religionsphilosophische und ästhetische Aspekte der Recherche in einem neuen Licht; denn Proust schwankt hier erneut zwischen der „Schönheit“ des Katholizismus – einer in der Folge Ruskins entfalteten Vorstellung – und der des Judentums in seiner „Asymmetrie“ zum Ersteren. So stehen der Welt des Christentums entlehnte Vorstellungen vom Kirchturm in Combray zum Baptisterium von San Marco in Venedig, von der Pseudo-Eucharistie der Madeleine zum täglichen Brot von Albertines Kuss verborgene jüdische Momente gegenüber. Mystische und poetische Erfahrung überlagern sich: So ist Prousts Beschäftigung mit der jüdischen Mystik und Kabbala ebenso von Interesse wie die enge Konstellation von Judentum und Homosexualität und die sich im oft zitierten jüdischen Humor äußernde Selbstironie.
Sucht man das Jüdische der Recherche genauer zu fassen, so gilt es auch die Schreibweise selbst zu betrachten. Besonderes Gewicht kommt hier den spezifischen erzählerischen Verfahren und stilistischen Eigenheiten, etwa Syntax und Bildsprache zu. Auch die komplexe Gesamtstruktur der Recherche ist vor diesem Hintergrund als ein Gang ins Offene, ein „abrahamitischer“ Aufbruch ohne Wiederkehr (Emmanuel Levinas) aufs Neue zu bedenken, wie es überhaupt gilt, der impliziten Vorstellung Prousts vom „Exil“ der Literatur, ja der Kunst als einer privilegierten Form jüdischer Identität nachzugehen.
Programm
Donnerstag, 28. November 2019
19.00 Uhr Grußwort des Präsidenten der Marcel Proust Gesellschaft REINER SPECK (Köln)
ANDREAS ISENSCHMID (Berlin): Die Recherche – ein jüdischer Roman
Anschließend: Umtrunk
Freitag, 29. November 2019
Moderation: JÜRGEN RITTE (Université Sorbonne Nouvelle – Paris III)
9.30 Uhr EVELYNE BLOCH-DANO (Paris): Une famille d’Israélites français
10.30 Uhr PATRICK MIMOUNI (Paris): Proust et les Juifs
11.30 Uhr PATRICK BAHNERS (Köln): „Une simple affaire politique“? Epistemologische Probleme im Spiegel der matière de Dreyfus
Pause
15.00 Uhr PHILIPPE BERTHIER (Paris): Charlus/Dreyfus ou l’art de ne pas comprendre
16.00 Uhr FLORIAN NEUMANN (München): Gyp – zur Genese einer antisemitischen Künstlerfigur im Frankreich des Fin-de-Siècle
17.00 Uhr KIRSTEN VON HAGEN (Universität Gießen): Der Gesellschaftsroman der Moderne: Spektakel und inszenierte Alterität bei Proust und Gyp
19.30 Uhr Abendessen im Restaurant Beba, Gropius-Bau, Niederkirchnerstraße 7, 10963 Berlin (kostenpflichtig; Anmeldung erforderlich)
Samstag, 30. November 2019
Moderation: THOMAS SPARR (Berlin)
9.30 Uhr ALEXIS EIDENEIER (Aachen): Die Komödie der Assimilation. Jüdischer Witz und Humor in der Recherche
10.30 Uhr GIULIA AGOSTINI (Universität Heidelberg): Marcel Proust – ein jüdischer Mystiker
11.30 Uhr ANTOINE COMPAGNON (Collège de France, Paris): Jeunes juifs lecteurs de Proust
12.30 Uhr THOMAS SPARR (Berlin): „La Race Maudite“. Judentum und Homosexualität in der deutsch-jüdischen Proust-Rezeption. Hannah Arendt, Gershom Scholem, Peter Szondi
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Zeit
28. November 2019 19:00 - 30. November 2019 14:00(GMT+01:00)