Mosse Lecture: Hannah Cloke
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Respondenz: Matthias Kramm – Einführung: Stefan Willer Flüsse sind Schauplätze von Zivilisationsbildung, nationalen Identitätsordnungen und kriegerischen Konflikten, sie
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Respondenz: Matthias Kramm
– Einführung: Stefan Willer
Flüsse sind Schauplätze von Zivilisationsbildung, nationalen Identitätsordnungen und kriegerischen Konflikten, sie sind fließende Erinnerungs- und Projektionsräume sowie hochfrequentierte Handelswege. Sie fungieren als „natürliche“ Grenzen zwischen Staaten und verbinden diese zugleich, weshalb sie seit je als Migrations- und Fluchtwege genutzt werden. Die bis heute währenden Streitigkeiten der Anrainerstaaten Sudan, Ägypten und Äthiopien um den Nil und sein Wasservorkommen, in denen wirtschaftliche Interessen, koloniale Erblasten, aber auch die Herausforderungen des Klimawandels zusammentreffen, sind nur eines von vielen Beispielen für den politischen Druck, dem Flüsse ausgesetzt sind.
Hinzu kommt der ganz konkrete Nutzungsdruck, der durch regulierende wasserbauliche Eingriffe entsteht und von Umweltschützer:innen zunehmend problematisiert wird. An Flüssen lassen sich die Ausmaße des Anthropozäns gut studieren. Flutkatastrophen wie das 2021 geschehene Hochwasser im Ahrtal zeigen, dass es längst nicht nur die großen Ströme, sondern auch deren lokale Verzweigungen sind, die zu Brennpunkten globaler Krisen werden. Die Indienstnahme von Flüssen als politische Grenzzonen kann aber auch zur Entstehung weitgehend unberührter Biosphären beitragen – wie etwa an den Flussauen der Elbe, dem einstigen „Todesstreifen“ der innerdeutschen Grenze, dessen vermintes Gelände ironischerweise ökologische Vielfalt entfalten konnte. Menschen, Flüsse und deren (Evolutions-)Geschichten stehen in Austauschbeziehungen, die erst in Ansätzen erschlossen sind.
Seit je hat die kollektive Einbildungskraft die Flüsse zu Orten der Passage, des Übergangs (ins Jenseitsreich) oder der Initiation (z.B. Taufe) gemacht, Quelle, Flusslauf, Ufer und Mündung in Lebenssymbole verwandelt, den Gewässern Flussgötter, Elementargeister und Nixen zugeordnet. Das Austrocknen und die Überschwemmung als Katastrophenmodi der Flüsse verbinden die aktuellen ökologischen Debatten mit den Mythologien der Flüsse. Ziel der Mosse Lectures im Sommersemester 2022 ist es, das Nachdenken über die raumstrukturierende Dimension der Flüsse, über ihre geographische, geopolitische, wirtschaftshistorische und ökologische Bedeutung mit ihrer Reflexion als Ressource der Selbstdeutung vormoderner und moderner Gesellschaft zu verbinden.
Hannah Cloke: »Dreaming of Disaster: A river journey of imagination«
Every week, somewhere on our planet, people die in a flood. We can now predict many types of floods well before any rain has even fallen, or the storm has even begun to form. We have spent billions of Euros setting up sophisticated flood prediction systems that undertake billions of calculations to predict when and where floodwaters will be. But what is the point of all of this if nobody can understand the danger that they are in, or imagine their homes and lives swept away? The floods in Germany in the summer of 2021 showed failures to prevent deaths. But was this a failure of science, or a failure of imagination? This lecture will take you on a river journey, following the paths of individual water droplets, immersing you in both the scientific and human experience of flood disasters.
Hannah Cloke ist Professorin für Hydrologie an der University of Reading (UK); Arbeits- und Forschungsschwerpunkte liegen u.a. auf der Vorhersage von Naturkatastrophen, der Optimierung von Frühwarnsystemen, sowie Auswirkungen des Klimawandels; Cloke war nach ihrer Promotion u.a. am Aufbau des European Flood Awareness System (EFAS) beteiligt und ist Direktorin des Global Flood Awareness System (GloFAS). Sie ist länderübergreifend als unabhängige Beraterin zu den Themen Flutwarnung und Überschwemmung tätig; Cloke wurde mehrfach für ihre wissenschaftlichen Verdienste ausgezeichnet und ist Trägerin des Order of the British Empire (OBE).
Matthias Kramm promovierte nach einem Studium der Philosophie und Theologie in München und London 2020 mit der Arbeit »Balancing Tradition and Development?« am Ethics Institute der Utrecht University; mit der Vereinbarkeit von akademischen und nicht-akademischen Wissenskulturen – insbesondere solchen indigener Völker – setzt Kramm sich derzeit auch als Wissenschaftler im GEOs-Forschungsprojekt »Ethnoontologies. Relating Metaphysics and Practice of Knowledge Diversity« an der Wageningen University (NLD) auseinander.
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Zeit
28. April 2022 19:15 - 20:45(GMT+01:00)