Mosse Lecture: Janet Hartley

Do23Jun19:15Do20:45Mosse Lecture: Janet HartleyTaming the Volga: Imperial Policies to Control Nature, People and BeliefsVeranstaltungsartVortrag

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Flüsse sind Schauplätze von Zivilisationsbildung, nationalen Identitätsordnungen und kriegerischen Konflikten, sie sind fließende Erinnerungs- und Projektionsräume sowie hochfrequentierte Handelswege. Sie fungieren als „natürliche“ Grenzen zwischen Staaten und verbinden diese zugleich, weshalb sie seit je als Migrations- und Fluchtwege genutzt werden. Die bis heute währenden Streitigkeiten der Anrainerstaaten Sudan, Ägypten und Äthiopien um den Nil und sein Wasservorkommen, in denen wirtschaftliche Interessen, koloniale Erblasten, aber auch die Herausforderungen des Klimawandels zusammentreffen, sind nur eines von vielen Beispielen für den politischen Druck, dem Flüsse ausgesetzt sind.

Hinzu kommt der ganz konkrete Nutzungsdruck, der durch regulierende wasserbauliche Eingriffe entsteht und von Umweltschützer:innen zunehmend problematisiert wird. An Flüssen lassen sich die Ausmaße des Anthropozäns gut studieren. Flutkatastrophen wie das 2021 geschehene Hochwasser im Ahrtal zeigen, dass es längst nicht nur die großen Ströme, sondern auch deren lokale Verzweigungen sind, die zu Brennpunkten globaler Krisen werden. Die Indienstnahme von Flüssen als politische Grenzzonen kann aber auch zur Entstehung weitgehend unberührter Biosphären beitragen – wie etwa an den Flussauen der Elbe, dem einstigen „Todesstreifen“ der innerdeutschen Grenze, dessen vermintes Gelände ironischerweise ökologische Vielfalt entfalten konnte. Menschen, Flüsse und deren (Evolutions-)Geschichten stehen in Austauschbeziehungen, die erst in Ansätzen erschlossen sind.

Seit je hat die kollektive Einbildungskraft die Flüsse zu Orten der Passage, des Übergangs (ins Jenseitsreich) oder der Initiation (z.B. Taufe) gemacht, Quelle, Flusslauf, Ufer und Mündung in Lebenssymbole verwandelt, den Gewässern Flussgötter, Elementargeister und Nixen zugeordnet. Das Austrocknen und die Überschwemmung als Katastrophenmodi der Flüsse verbinden die aktuellen ökologischen Debatten mit den Mythologien der Flüsse. Ziel der Mosse Lectures im Sommersemester 2022 ist es, das Nachdenken über die raumstrukturierende Dimension der Flüsse, über ihre geographische, geopolitische, wirtschaftshistorische und ökologische Bedeutung mit ihrer Reflexion als Ressource der Selbstdeutung vormoderner und moderner Gesellschaft zu verbinden.

Janet Hartley: »Dreaming of Disaster: A river journTaming the Volga: Imperial Policies to Control Nature, People and Beliefs«

– Respondenz: Hans Jürgen Balmes

Donnerstag, den 23. Juni 2022 19.15 Uhr | Senatssaal der HU, Unter den Linden 6 (Berlin) bzw. auch als Livestream über unseren YouTube-Kanal

Janet Hartley ist eine Historikerin, die bis zur Emeritierung 2019 einen Lehrstuhl für Internationale Geschichte an der London School of Economics innehatte; Hartleys Forschungsschwerpunkt liegt bei der russischen Geschichte, zu der sie umfangreich publizierte; zahlreiche Monographien u.a. über Russlands Aufstieg zu einer europäischen Großmacht im 18. Jahrhundert sowie der Geschichte Sibiriens und seiner Menschen; zuletzt widmete sich Hartley in »The Volga. A History of Russia’s Greatest River« (2021) der Geschichte des Landes ausgehend vom Flusslauf der Wolga.

Hans Jürgen Balmes ist Lektor, Herausgeber und Übersetzer; langjährige Tätigkeit bei deutschen Verlagshäusern, für den Fischer Verlag u.a. auch als Herausgeber der Literaturzeitschrift »Neue Rundschau«; Balmes übertrug zahlreiche, auch literarische Werke, aus dem Englischen, darunter Titel von John Berger, Barry Lopez und Robert Hass; Meeres- und Flussthemen widmete sich Balmes u.a. in der Kultur- und Reisezeitschrift »Mare« sowie zuletzt in seinem Buch »Der Rhein. Biographie eines Flusses« (2021), für welches er sechs Jahre den Rhein zu Land und zu Wasser erkundete.

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Zeit

23. Juni 2022 19:15 - 20:45(GMT+01:00)

HU Berlin

Unter den Linden 6

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