Mosse-Lecture: Marcus Twellmann

Do12Dez19:15Do20:45Mosse-Lecture: Marcus TwellmannBerliner UmlandliteraturVeranstaltungsartVortrag

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Landleben

Wintersemester 2024/25

Zwischen Idylle und Provinz liegt ein weites Feld. Auf der einen Seite sehen sich ländliche Kommunen mit vehement sinkenden Bevölkerungszahlen und ›sterbenden Dörfern‹ konfrontiert; andererseits setzt das Versprechen eines ›einfachen‹ und naturnahen Lebens nicht erst seit den Künstlerkolonien der Moderne tiefe Sehnsüchte eines (groß-)städtischen Blicks auf ländliche Räume frei. Dabei ist schon von den frühen Arbeiten der Rural Sociology und ihrem Bemühen um eine differenziertere Analyse ländlicher Gesellschaften am Beginn des 20. Jahrhunderts klar benannt worden, dass rurale Lebenswelten komplexer sind, als die Rede von der Dorfgemeinschaft und das hartnäckige (Vor-)Urteil ihrer Rückständigkeit gegenüber einer städtischen Moderne nahelegt. Tatsächlich eröffnen gerade die historischen Transformationen des Dorfes – und seiner Geschichten – einen neuen Blick auf die Peripherien der Moderne. Erkennbar wird darin, dass ›Land‹ in seiner materiellen räumlichen Struktur als (endliche) Ressource fernab stereotyper Romantisierungen einen zentralen Schauplatz in der Geschichte gesellschaftspolitischer Konfliktlagen und sozialer Ausdifferenzierungen darstellt. Das ›Ländliche‹ geht aus kulturellen Deutungsschemata und Ästhetisierungen hervor, auch ländliche Lebensformen erweisen sich als zutiefst von gesellschaftlichen Dynamiken geprägt.

Im Wintersemester 2024/25 unternehmen die Mosse Lectures diskursive Ausflüge aufs Land und betrachten ländliche Räume als Gegenstand kultureller Imaginationen ebenso wie politischer und ökonomischer Vereinnahmungen: Wie haben sich ländliche Lebensformen in der Moderne gewandelt, wie wurde und wird das ›Ländliche‹ in der Vielzahl seiner konkreten Ausformungen als (zumeist vom städtischen Blick überformtes) Deutungsschema beschrieben und imaginiert? Ist die ›Provinz‹ Austragungsort einer alternativen, anti-metropolitanen Politik? Wo verläuft die Grenze von Stadt und Land als Kultur- bzw. Naturraum – und: gibt es sie angesichts der funktionalen Verbindungen zwischen den Räumen überhaupt? Wie arbeitet die Literatur an der Errichtung, Verschiebung oder Auflösung von Stadt-Land-Grenzen und welche Herausforderungen stellen sich für eine zunehmend in Städten lebende Gesellschaft hinsichtlich der Bedingungen und Grenzen ökologisch nachhaltiger Landwirtschaft?   

Marcus Twellmann

Berliner Umlandliteratur

mit Claudia Stockinger und Ethel Matala de Mazza

Donnerstag, den 12. Dezember 2024 | 19.15 Uhr | Senatssaal der Humboldt-Universität zu Berlin, Unter den Linden 6, 10117 Berlin

Betrachtet man die derzeit entstehende Berliner Umlandliteratur als Bestandteil einer rurbanen Assemblage, lässt sich eine relationale Perspektive auf unterschiedliche Räume gewinnen und nach der Teilhabe der Literatur an sozionaturalen Prozessen fragen. Ohne das Verhältnis von Stadt und Land im Vorhinein als Gegensatz auszulegen, kann man eine solche, potentiell wirkmächtige Verwendung der Unterscheidung durch literarische, politische und wissenschaftliche Akteure in den Blick nehmen. Während manche Beobachter hier eine gesellschaftliche Spaltungslinie erkennen, wenden andere sich gegen radikalisierte Diskursakteure, die Konflikte herbeiredeten. Trifft dieser Vorwurf auch eine kritische Wissenschaft vom Stadt/Land-Gegensatz? Und wie operiert die Erzählkunst in diesem Zusammenhang?

MARCUS TWELLMANN: Literaturwissenschaftler; seit 2021 Professor für Neuere deutsche Literatur an der Universität Hamburg. Marcus Twellmann leitete die Forschungsstelle »Kulturtheorie und Theorie des politischen Imaginären« an der Universität Konstanz und war im Exzellenzcluster 16 »Kulturelle Grundlagen von Integration« als wissenschaftlicher Koordinator tätig. Seine Forschungsinteressen gelten der Literatur- und Kulturtheorie sowie der neueren deutschen Literatur im globalen Kontext, insbesondere reisenden Formen. 2019 erschien die Studie »Dorfgeschichten. Wie die Welt zur Literatur kommt« im Wallstein Verlag.

CLAUDIA STOCKINGER: Literaturwissenschaftlerin; Professorin für Neuere deutsche Literatur (17. – 19. Jahrhundert) an der Humboldt-Universität zu Berlin. Seit 2022 leitet Claudia Stockinger das Teilprojekt »Populäre Narrative des guten Lebens. Wechselverhältnis von Medizin und Zeitlichkeit im deutschen Fernsehen« der DFG-Forschungsgruppe 5022 »Medizin und Zeitstruktur des guten Lebens«. Ihre Forschungsschwerpunkte gelten der Literaturgeschichte der Aufklärung und des 19. Jahrhunderts, der Literatur und dem Literaturbetrieb der Gegenwart, der Theorie der Kanonbildung, der Intertextualität und Autorschaft sowie der ruralen Moderne.

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Zeit

12. Dezember 2024 19:15 - 20:45(GMT+01:00)

HU Berlin

Unter den Linden 6

HU Berlin