Robert Musil und die Ökonomisierung des Sozialen

Di05Nov17:00Di18:30Robert Musil und die Ökonomisierung des SozialenLfB SchoolVeranstaltungsartWorkshop

Details

„Möglichkeitssinn“, Konkurrenz und Optimierung. Robert Musils »Mann ohne Eigenschaften« und die Ökonomisierung des Sozialen

Seminarleitung: Dr. habil. Michael Makropoulos

In der individuellen Fähigkeit zur Selbstverwirklichung sahen bereits die Aufklärer des 18. Jahrhunderts die Autonomie des Subjekts gegen die Zwänge der Tradition begründet. Was man mit großem emanzipatorischen Pathos ‚Freiheit’ genannt hat, ist die Realisierung unverwirklichter Möglichkeiten. Robert Musil hat in seinem Roman »Der Mann ohne Eigenschaften« (1930) dafür den Begriff des „Möglichkeitssinns“ eingeführt: „alles, was ebensogut sein könnte, zu denken und das, was ist, nicht wichtiger zu nehmen als das, was nicht ist.“ Das Verhältnis zur Welt und zu sich selbst ist in der modernen Gesellschaft demnach dadurch bestimmt, dass alles prinzipiell kontingent ist, also auch anders sein könnte. Allerdings begründet diese Möglichkeitsoffenheit zugleich eine Situation der strukturellen Konkurrenz, weil jede realisierte Möglichkeit im Wettbewerb mit anderen Möglichkeiten und den Realisierungsansprüchen der Möglichkeiten anderer Mitbewerber*innen steht. Die permanente Überbietung des bisher Erreichten wird zum Prius des Denkens und Handelns – man denkt und handelt gewissermaßen gegen sich selbst und alle anderen. ‚Optimierung’ ist jedoch keine primär ökonomische, sondern eine primär soziale Disposition, die mit der historischen Plausibilität der Möglichkeitsoffenheit in einer Gesellschaft einhergeht. Es geht um die kulturelle Tiefenstruktur des, mit Hegel gesprochen, gesellschaftlichen Zeitalters, also einer historischen Epoche, in der das Soziale zum absoluten Primat allen Lebens wird. Im Anschluss daran hat Michel Foucault den Neoliberalismus als die „Ökonomisierung des Sozialen“ charakterisiert: optimiert werden die Individuen nicht mehr primär ‚von oben’, also durch institutionelle Autoritäten, sondern man optimiert sich selbst, das Selbst wird zur letzten Autorität erhoben — oder in Foucaults Worten, man wird zum „Unternehmer seiner selbst“.

Termine: Dienstag 5.11., 12.11.,19.11., 26.11., 3.12.
17:00 – 18:30 Uhr, Einlass ab 16:30 Uhr

Um Anmeldung unter campus@lfbrecht.de wird gebeten. Texte werden über einen Reader zur Verfügung gestellt. Nähere Informationen erfolgen nach Anmeldung.

Das Programm richtet sich vor allem, aber nicht ausschließlich an Studierende und Menschen unter 35 Jahren.

Wir freuen uns auf Euer Kommen!

ÜBER DIE SEMINARREIHE:

Mit der lfb school bietet das Literaturforum im Brecht-Haus ab November 2019 ein Seminarprogramm mit wechselnden Seminarleiter*innen an. Es geht darum, Texte zu lesen und Themen zu diskutieren, für die an der Universität aus unterschiedlichen Gründen kein Raum ist. Vielleicht, weil die Texte nicht kanonisch genug sind, die Fragestellungen zu spekulativ. Wir möchten die Textarbeit um eine Dramatik bereichern, die die Universität ihr schon aus rein institutionellen Gründen verweigern muss. Das bedeutet auch, Fragen zu stellen, die so vielleicht noch nicht gestellt worden sind, zu denen wir selbst noch keine Antworten haben und die ein gewisses Konfliktpotential in sich tragen. Um es mit Gilles Deleuze zu sagen: „Das hat nichts mit Diskussionsveranstaltungen zu tun. Das ist wie ein Forschungslaboratorium: Eine Veranstaltung macht man über etwas, das man sucht und nicht über etwas, das man weiß.“ Letztendlich sind es ungelöste Probleme, die das Seminarprogramm motiviert haben.

Konzipiert und organisiert von Johen Shmon.

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Zeit

5. November 2019 17:00 - 18:30(GMT+02:00)

Literaturforum im Brecht-Haus

Chausseestraße 125, 10115 Berlin

Literaturforum im Brecht-Haus