Thomas Hettche / Emphatische Lektüren: Benn
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Lesen ist eine Schnittstellenkunst, die zweierlei erst erzeugt, den Text und seine Leser·innen. Nur, wenn diese sich lesend selbst in die Waagschale werfen, als ganze Personen mit allen Vorurteilen, Sehnsüchten
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Lesen ist eine Schnittstellenkunst, die zweierlei erst erzeugt, den Text und seine Leser·innen. Nur, wenn diese sich lesend selbst in die Waagschale werfen, als ganze Personen mit allen Vorurteilen, Sehnsüchten und Wünschen, realisiert sich für sie ein literarischer Text in seiner Wahrhaftigkeit, und ihre Lektüre ergibt mehr als ein Geschmacksurteil. »Emphatische Lektüren« ist eine Veranstaltungsreihe an der TU Berlin, die auf eine solche Lesepraxis zielt, eine Praxis, die in unserem medialen Zeitalter zunehmend verloren zu gehen droht. Im Gespräch mit Thomas Hettche nähern sich wichtige zeitgenössische Schriftsteller·innen einem klassischen Erzähltext der Moderne.
Geplant war, sich im Sommersemester mit jenen Texten Gottfried Benns auseinanderzusetzen, deren Hauptfigur der Arzt Rönne ist und die der Schriftsteller 1916 in dem Band »Gehirne. Novellen« zusammenfasste. Eingeladen waren Lukas Bärfuss, Durs Grünbein, Sabine Scholl und Katharina Schultens, ihre eigenen Sichtweisen auf Benns »Gehirne« in Form essayistischer oder literarischer Texte, von Weiter- oder Umschreibungen vorzustellen. Gemeinsam wollten wir so Benns Texte aus verschiedenen Perspektiven erschließen und uns im Dialog mit den Schriftsteller·innen selbst als Lesende in den Text einschreiben.
Das Seminar wird aufgrund der gesundheitlichen Bedrohung ebenso ausfallen wie die öffentliche Abendveranstaltung im LCB. Doch wir möchten gerade in der Zeit der Seuche zu emphatischer Lektüre anregen, zumal die pandemische Kriegserfahrung den Horizont von Benns Alter Ego Rönne bildet und uns allen zurzeit seine Erfahrungswirklichkeit unangenehm naherückt. Um diese Lektüre zu unterstützen, werden die Essays von Lukas Bärfuss, Durs Grünbein, Sabine Scholl und Katharina Schultens auf unserer Webseite online zugänglich gemacht werden, und zwar vom 22.5. bis zum 29.5. 2020. Am 29.5. 2020 wird zudem ein Video-Chat der Autor·innen stattfinden, bei dem wir uns über Benns »Gehirne« und ihre Essays unterhalten werden.
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Zeit
29. Mai 2020 18:00(GMT+01:00)