Treue

Fr19Mai(Mai 19)10:00Sa20(Mai 20)17:00TreueDie Ethik des RealismusVeranstaltungsartKonferenz

Details

Organisation: Joseph Vogl, Roman Widder

Treue – ausgerechnet mit diesem Begriff aus dem Inventar bürgerlicher Ehen und populärer Romanzen wird im Jahrhundert des Realismus der nicht mehr abzuweisende Anspruch auf die Nachahmung der Wirklichkeit geltend gemacht. ‚Wirklichkeitstreu‘ sind Darstellungen, die diesen mimetischen Anspruch einlösen. Die ethische Semantik hat dabei symptomatischen Stellenwert: Mit einer Wendung ins Ethisch-Normative löst auch die Poetik des programmatischen ‚Ideal-Realismus‘ das erkenntnistheoretische Problem, an dem die Ästhetik seit Kant laboriert. 

Die Semantik der Treue bezieht sich auf eine Ästhetik der Genauigkeit und eine Beziehung der Loyalität gleichermaßen: Im Ehe- und Ehebruchsroman birgt gerade die Ambivalenz der Semantik (Treue zum Anderen, Treue zu sich) ein schier unerschöpfliches Potential der narrativen Konfliktgestaltung. Politisch wird Herrschaftstreue im Programmrealismus nach 1848 vorausgesetzt, konfligiert allerdings mit dem Verlangen nach Gegenwartsromanen und der demokratischen Aufwertung aller möglichen Stoffe. Poetologisch korrespondiert das Postulat der Wirklichkeitstreue mit der Privilegierung zuverlässiger Erzählinstanzen und mittelmäßiger Helden und wirft damit die Frage nach der Glaubwürdigkeit nicht nur der Fiktion auf: Erzählung und öffentlicher Diskurs können den ökonomischen und moralischen Kredit des Publikums genießen oder einbüßen. Nicht zuletzt in Bezug auf die affektive Untreue gegenüber der kollektiven sozialen Fiktion, die gemeinhin als Realität firmiert, tangiert die Frage nach der Treue realistischer Darstellung deshalb auch noch die Wiederkehr des Realismus in der Gegenwart.

Das Problem der Wirklichkeitstreue rückt die ethische Dimension von Mimesis in den Blick. Ziel der Konferenz ist es, die polyvalente Treue-Semantik auf ihre Kompetenz für die Beobachtung des Realismus zu befragen.

Ort: Hauptgebäude (Unter den Linden 6), Raum 2249A (1. Zwischengeschoss)

Programm

Freitag, 19.5.2023

10:00: Roman Widder, Joseph Vogl: Einführung 

10:15: Albrecht Koschorke: Fatum des Betrogenseins. Zur Psychodynamik des Realismus

11:15: Roman Widder: Darstellungsangst und Erzählgroll. Paul Heyses F.V.R.I.A.

12:15: Kaffeepause

12:30: Moritz Baßler: Negative Treue. Der realistische Held und die leere Mitte 

13:30: Mittagspause

15:00: Philippe Roepstorff-Robiano: Ein treuloses Herz. George Sands Kritik an Gustave Flaubert 

16:00: Stephan Brändle: Geschichtstreue als Fiktion. Theodor Fontane und der Deutsch-Französische Krieg 

17:00: Kaffepause

17:30: Eva Heubach: ‚Die ungeheure Wirklichkeitstreue‘: Dante – Hegel – Auerbach

18:30: Eva Geulen: Treue und Kontingenz

Samstag, 20.05.2023

10:00: Cornelia Zumbusch: Die Grenzen des Realismus: Ethik und Poetik der Sorge (Keller, Coetzee, Stelling) 

11:00: Ethel Matala de Mazza: Milieutreue. Autosoziobiographik im Naturalismus

12:00: Kaffepause

12:15: Eva-Maria Konrad: Wer soll das glauben? Über göttliche Wunder und profane Freundestreue in Conrad Ferdinand Meyers Das Amulett

13:15: Mittagessen

14:30: Nicola Gess: ‚Credo quia absurdum‘. Von der Ethik der Treue zur Ästhetik der Untreue

15:30: Joseph Vogl: Fabulieren, finanzieren

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Zeit

19. Mai 2023 10:00 - 20. Mai 2023 17:00(GMT+02:00)

HU Berlin

Unter den Linden 6

HU Berlin