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Im Interview eines Kinderreporters mit Tino Chrupalla, dem Vorsitzenden der AfD, fordert letzterer, dass an den Schulen wieder mehr deutsche Gedichte gelehrt werden. Dann fällt ihm keines ein.

Ein Kommentar von Christoph Sauer

In einer Reihe von Interviews, die Logo!-Kinderreporter für das Kinder- und Jugendprogramm ZDFtivi mit den Spitzenkandidat*innen der Parteien für die Bundestagswahl geführt haben, antwortete Tino Chrupalla auf die Frage, was es denn mit der bildungspolitischen Forderung seiner AfD auf sich habe, an Schulen vermehrt „deutsches Kulturgut“ einzuführen, man wolle, dass „deutsche Volkslieder gelehrt werden, dass dort deutsche Gedichte gelernt werden, dass wir auch unsere deutschen Dichter und Denker wieder mehr an deutschen Schulen würdigen“; sichtlich zufrieden war der AfDler mit seiner so vorgebrachten Ansicht. Die knallharte, den Triells des Hauptprogramms würdige Nachfrage des Kinderreporters, was denn sein deutsches „Lieblingsgedicht eigentlich“ sei (nicht vortragen sollte er es, nur benennen), verunsicherte diese Selbstzufriedenheit dann aber sichtlich und provozierte folgende Antwort: „Mein Lieblingsgedicht? Ist, öhm, da müsste ich jetzt mal überlegen, da fällt mir jetzt gar keins ein.“ – „Nicht?“ – „Nein.“ So trug es sich zu.

Bei aller wohl nur zu verdienten Häme für den Herrn von der AfD, die dieses Interview und das vielsagende „Öhm“ nach sich zogen, sei an dieser Stelle doch gerechterweise darauf hingewiesen, dass der AfD-Mann letztlich ja nur performativ umsetzte, was er zuvor rhetorisch vorgebracht hatte. Wenn ihm kein deutsches Gedicht einfallen mag, dann doch vielleicht nur, weil er selbst bereits ein Opfer der deutschen Bildungsmisere ist, die er beklagt, das heißt der insinuierten anti-deutschen Unterwanderung der an den deutschen Schulen gültigen Lehrpläne. Und wenn der AfDler auf die Nachfrage des Kinderreporters, ob er denn einen „Dichter“ nennen könne (fast verständlicherweise verzichtet der Fragende hier lieber stillschweigend auf das Gendern der Frage, die Sinnlosigkeit eines solchen Unterfangens muss ihm angesichts seines Gegenübers zu klar gewesen sein), ausgerechnet Heinrich Heine anführt, kann das nur als ein weiterer Beweis für seine erlittene Verbildung gelten! Ausgerechnet Heine, der doch als Urquell des in der AfD-Denke Anti-Deutschen in der deutschen Literatur gelten kann, der um seinen sprichwörtlich gewordenen Schlaf gebracht war, wenn er an bornierte Deutschtümelei und kleinkarierten Nationalismus dachte, wie sie heute vor allem von Chrupallas Partei im öffentlichen Diskurs wieder lautstark praktiziert werden. Chrupalla macht also das von ihm und seiner Partei vertretene Programm in einer Konsequenz performativ dringlich, wie es von den anderen Kandidat*innen nur schwer vorstellbar wäre. Das kann man schon auch einmal würdigen. Und so ist es nur folgerichtig, könnte man meinen, wenn er dabei ziemlich blöd ausschaut.

Christoph Sauer promoviert an der FSGS zur teilnehmenden Beobachtung als einer Denkfigur der Moderne in Literatur und Ethnographie.