Maximilian Gilleßen ist Übersetzer und zusammen mit dem Buchgestalter Anton Stuckardt Begründer des Berliner Verlags zero sharp. Ihr Interesse gilt Autoren der französischen Avantgarde. Bisher sind Bände von Raymond Roussel, Jean-Pierre Brisset, Gaston de Pawlowski und René Daumal erschienen. Seit Juli 2017 ist Maximilian Gilleßen Einstein-Projektstipendiat an der Friedrich Schlegel Graduiertenschule für literaturwissenschaftliche Studien, wo er an einer Dissertation über Raymond Roussel arbeitet.

Ein Interview von Chris Fenwick

Wie würden Sie das Korpus von Texten beschreiben, die bei zero sharp erscheinen? Was fanden Sie so spannend an diesen Texten, dass Sie die schwierige Arbeit zahlreicher Übersetzungen unternehmen wollten?

Maximilian Gilleßen: Die von uns bisher verlegten Autoren gehören ganz verschiedenen Generationen an: Brisset wuchs in der Julimonarchie auf und erlebte noch den Ersten Weltkrieg, aber sein prägendes Erlebnis war die Schlacht von Sedan; Roussel und de Pawlowski gehörten der Belle Époque an; Daumal war zwölf Jahre jünger als André Breton. Auch die Ziele, die sie verfolgten, ihre Absichten, wenn man so will, waren sehr verschieden: Brisset wollte den amphibischen Ursprung der Sprache aufzeigen, Roussel erstrebte einen literarischen Ruhm nach dem Vorbild von Victor Hugo, de Pawlowski verstand sich als Zeitkritiker, der Satire mit spekulativer Science-Fiction verband, und Daumal betrachtete das Schreiben als eine Tätigkeit, deren Wert nicht in ihr selber liegt, sondern in der möglichen Erfahrung, auf die sie verweist. Bei all diesen Autoren – und das wäre eine erste Gemeinsamkeit – stellt sich also die Frage, inwieweit ihre Werke überhaupt der sogenannten Literatur zuzurechnen sind.

Diese Schwierigkeit ist nicht zu trennen von einem besonderen Bezug zur Sprache, der die Arbeit dieser Autoren in unterschiedlichem Maße prägt. Brisset nimmt das Französische zum Ausgangspunkt seiner etymologischen Forschungen, um nach gleichklingenden Silben und Wörtern in anderen Sprachen zu suchen; jede Homophonie verweist für ihn auf ein und dieselbe Idee: Wenn nun jeder Laut mit einer bestimmten Idee verbunden ist, so ist ein aus mehreren Lauten bestehendes Wort eine Art Satz, in dem eine Szene der amphibischen Urzeit hörbar wird. Brissets Etymologien sind Szenographien: Die Menschwerdung der urzeitlichen Frösche ist in die Sprache als ihr heimliches Doppel eingeschrieben.

Auch Roussel arbeitet mit homophonen Serien, die sich jedoch in zwei verschiedene Bedeutungen aufspalten, so dass er im Inneren des Französischen eine Art Fremdsprache erschafft, die mit ähnlichen Lauten etwas ganz anderes sagt als die von ihr doublierten Wörter. Die Aufgabe der Erzählung besteht darin, die aus der Spaltung der Phoneme hervorgegangenen Elemente durch eine möglichst kohärente Handlung wieder zu verbinden. Brisset spricht vom „Großen Gesetz der Sprache“, Roussel von seinem „Verfahren“ – beide haben eine regelpoetische Schreibweise entwickelt, die sich zugunsten der Eigengesetzlichkeit der Sprache von tradierten Kategorien wie Nachahmung und Wahrscheinlichkeit verabschiedet. Ähnliche, wenngleich nicht ganz so elaborierte Verfahren ließen sich in einigen Texten von de Pawlowski aufzeigen, der, wie Roussel, stark von einer gewissen humoristischen Tradition des Wortspiels beeinflusst ist, das gerade am Ende des neunzehnten Jahrhunderts große Popularität genoss. Daumal kritisiert sowohl die surrealistische Idee einer écriture automatique als auch die Auffassung der Sprache als eines beliebig manipulierbaren Mechanismus: In beiden Fällen, so erklärt er, delegiert der Schreibende seine Verantwortung an ein ihm Äußeres, Unbewusstes. Das hat ihn zumindest in seinen frühen Texten wie der Jugenderzählung Mugle nicht davon abgehalten, mit der Materialität der Sprache zu arbeiten. Roger Gilbert-Lecomte, einer der engsten Freunde Daumals, hat die Homophonie zu einem zentralen Stilmittel seiner Poesie gemacht.

Durch ihre mathematisch-delirierende, auf eigentümlichen Verfahren gründende Schreibweise, die trotz oder vielleicht gerade aufgrund ihres Bruches mit einem referentiellen Sprachverständnis eine besondere Affinität zu populären Genres wie Abenteuerroman und Science-Fiction aufweist, sind diese Autoren zu wichtigen Bezugspunkten verschiedener Avantgarde-Bewegungen geworden. Marcel Duchamp hat sich ebenso auf Brisset und Roussel wie auf de Pawlowski berufen; Breton hat dann durch seine Anthologie de l’humour noir wesentlich zur Kanonisierung von Roussel und Brisset beigetragen; ihm folgten das Collège de ‚Pataphysique sowie die ursprünglich aus ihm als Unterkommission hervorgegangene Werkstatt für potentielle Literatur (Oulipo), schließlich poststrukturalistische Denker wie Michel Foucault und Gilles Deleuze. Gerade was Roussel betrifft, lassen sich die Bezugnahmen kaum noch überschauen; sie reichen zudem weit über das Feld der Literatur hinaus: Aldo Rossi oder Daniel Libeskind haben ihn ebenso für sich beansprucht wie Konrad Klapheck, Marcel Broodthaers, Allen Ruppersberg, Rebecca Horn oder John Bock. Es ging uns darum, diese im deutschsprachigen Raum nahezu unbeachtet gebliebene Traditionslinie durch umfangreich kommentierte Übersetzungen zugänglich zu machen und derart einige vergessene Vorläufer der historischen Avantgarde und ihrer postmodernen Nachfolger ins Bewusstsein zu bringen.

Raymond Roussel zero sharp
Cover zu Neue Impressionen aus Afrika von Raymond Roussel (2016) © zero sharp

Welche besonderen Probleme sind Ihnen beim Übersetzen begegnet? Ich denke hier zum Beispiel an Roussel und die strukturelle Funktion von Wortspielen für sein Schreibverfahren.

Maximilian Gilleßen: Das in Comment j’ai écrit certains de mes livres posthum enthüllte Schreibverfahren hat sicherlich dazu beigetragen, Roussel in den Ruf eines schwierigen Autors zu bringen; seine Texte gelten als unübersetzbar, insofern sie seiner Darstellung zufolge aus bestimmten, in keiner anderen Sprache reproduzierbaren Wortspielen hervorgegangen sind. Nun hat Roussel aber dafür gesorgt, dass diese phonetischen Kombinationen in den meisten seiner Texte unerkennbar bleiben, ja: er selber konnte sich offenbar nicht an alle Generatoren erinnern oder gab es zumindest vor. Sein Verfahren ist, kurz gesagt, ein Schreib-, kein Leseverfahren; es lieferte ihm das Ausgangsmaterial seiner Texte, diente ihm also als „aide-imagination“, wie es Breton so schön formulierte, oder womöglich, ganz im Gegenteil, als Bremse für seine überbordende Phantasie, wie es Mark Ford vermutet. Zumindest sollte seine Enthüllung nicht als Aufforderung zur Rekonstruktion eines vermeintlich ursprünglichen Sinns verstanden werden. Roussel wollte, dass man die Mühen seiner Arbeit und seinen Einfallsreichtum bewundere, nicht, dass man seine Werke auf ihre Generatoren reduziert.

Es stimmt jedoch, dass seine frühesten, allerdings erst posthum veröffentlichten Texte – die ersten, die ich übersetzt habe – das Prinzip ihrer Genese explizit zur Schau stellen. Schon der Gleichklang verrät es: Diese „textes de grande jeunesse“ sind auch „textes-genèse“. Die Handlung bewegt sich hier stets zwischen homophonen Anfangs- und Schlusssätzen, die durch eine minimale Abweichung zwei gänzlich verschiedene Bedeutungen annehmen. Sie rahmen oder klammern die Geschichte gleichsam ein (wie die Parenthesen in den Jahrzehnte später geschriebenen Nouvelles Impressions d’Afrique). Das berühmteste Beispiel für diese Konstruktionsweise ist die Erzählung „Parmi les noirs“: In heimlich verschickten Briefen beschreibt der schiffbrüchige Protagonist sein Leben als Gefangener einer afrikanischen Bande, deren Haupt ein alter Plünderer ist. Indessen erweist sich die Erzählung, in deren Zentrum ein Kryptogramm steht, beim Lesen des letzten Satzes, der bis auf einen einzigen Buchstaben mit dem ersten identisch ist, selber als eines:

„Les lettres du blanc sur les bandes du vieux billard…“

„Les lettres du blanc sur les bandes du vieux pillard.“

Eine Metathese, eine minimale phonetische Differenz (b/p), reißt den Sinn des Anfangssatzes mit sich und verwandelt die „Buchstaben aus Weiß auf den Banden des alten Billardtisches“ in die „Briefe des Weißen über die Banden des alten Plünderers“.

Man müsste im Deutschen über eine ähnliche Reihe von Homonymen verfügen, um dieses Konstruktionsprinzip wiederzugeben, ohne die einzelnen Elemente der Geschichte verändern zu müssen. Hermes Salceda, der die Textes-genèse ins Spanische übersetzte und dabei größtenteils die von Roussel verwendeten Homonyme wahrte, konnte dies nur aufgrund der engen Verwandtschaft zwischen den romanischen Sprachen tun. Erika Tophoven erzählte mir vor einiger Zeit, dass sie und ihr Mann sich bereits in den sechziger Jahren an einer adäquaten Übersetzung versucht, dieses Vorhaben jedoch nach einiger Zeit aufgegeben hätten. Ich entschied mich von Anfang an für eine Übersetzung, die auf eine Nachahmung der Konstruktion der französischen Sätze verzichtet, und sah darin keinen Mangel, sondern vielmehr eine Chance: Roussels Texte ohne die hermeneutische Last von Comment j’ai écrit… zu lesen, um den Blick dafür zu schärfen, was in den Texten selber geschieht. Mit Freude stellte ich fest, dass auch César Aira diese Ansicht in seinem Roussel gewidmeten Essay „La Clave unificada“ vertritt.

Tatsächlich stellen einen gerade die späteren Texte Roussels, in denen die Wortspiele nicht mehr rekonstruierbar sind, durch ihre gedrängte, von zahlreichen Partizipalkonstruktionen und Nebensätzen durchwirkte Syntax vor große Herausforderungen im Deutschen: In einem Brief an Michel Leiris hat Roussel einmal seinen Stolz darüber zum Ausdruck gebracht, jede seiner Geschichte mit der geringstmöglichen Zahl an Wörtern zu erzählen. Interessant ist auch die überdurchschnittlich hohe Häufung von Synonymen und Hapax legomena in seinen Texten. Es steht zu vermuten, dass diese semantischen und syntaktischen Besonderheiten aus der Okkultation des Verfahrens resultieren. Daneben gibt es im übrigen noch ein ganz anderes, wesentlich klassischeres Verfahren bei Roussel: den Gebrauch von Metrum und Reim. Seine in Prosa verfassten Werke, denen zumeist die Aufmerksamkeit gilt, werden ja von einer ganzen Reihe von Dichtungen umrahmt. Ich träume davon, dass man eines Tages La Vue auf deutsch lesen kann.

zero sharp
Bilder: Cover zu Das große Besäufnis von René Daumal (2018) © zero sharp

Warum haben Sie sich dafür entschieden, einen Verlag zu gründen, statt das Projekt schon bestehenden Häusern vorzustellen?

Maximilian Gilleßen: Die Entscheidung, einen eigenen Verlag zu gründen, war keine Entscheidung gegen andere Verlage, würde ich sagen. Anfangs wussten wir selber nicht, in welche Richtung sich unsere Arbeit entwickeln würde. Es ging ja zunächst nur um ein einziges Buch; dass weitere nachfolgen und ein in sich geschlossenes Programm bilden würden, stand damals noch gar nicht fest. Die Dinge haben sich dann nach und nach entwickelt. Allerdings waren wir uns schon sehr früh darüber einig, dass Roussels Werk eine zentrale Rolle in unserem Programm zukommen würde; auch die Arbeit an der Brisset-Monographie begann sehr früh; später kamen dann de Pawlowskis Voyage au pays de la quatrième dimension und die Arbeiten der Gruppe Le Grand Jeu hinzu. Im Übrigen warten noch einige bereits fertige Bücher anderer Autoren auf ihre Veröffentlichung: So etwa René Crevels erster Roman Détours, den ich mit Philippe Roepstorff-Robiano übersetzt habe, oder die Studie Les Machines célibataires von Michel Carrouges, die einige der von uns publizierten Autoren in ihre Analysen einbezieht.

Bleiben wir aber vielleicht bei Roussel und Daumal, um die deutschsprachige Rezeption und die Rolle, die dabei eine gewisse Verlagskultur spielte, besser zu verstehen: Einige ihrer Bücher sind bereits in den sechziger, siebziger und frühen achtziger Jahren in deutschen Übersetzungen erschienen. Cajetan Freund, Klaus Völker und vor allem Hanns Grössel haben sich für Roussel; Albrecht Fabri, Gerd Henniger und Brigitte Weidmann für Daumal eingesetzt. Die beiden großen Romane Roussels, seine Theaterstücke und die späte Dichtung Nouvelles Impressions d’Afrique waren auf Deutsch verfügbar; ebenso stand es mit den Romanen und einigen kleineren Prosatexten von Daumal. Manche dieser Übersetzungen erlebten bis Ende der achtziger Jahre mehrere Auflagen, zum Teil als lizenzierte Nachdrucke im Programm großer Publikumsverlage und sogar als Taschenbuch.

Ab einem bestimmten Zeitpunkt waren diese Titel vergriffen und wurden jahrzehntelang nicht mehr aufgelegt; ich erinnere mich noch, dass diese Bücher in meiner Jugend fast schon eine legendäre Aura für mich besaßen: Sie waren einfach nirgends zu finden. Sicherlich kann man verschiedene Gründe dafür anführen; ich vermute, dass sich die Situation wie folgt darstellte: Viele der kleinen Verlage, die Autoren wie Roussel, Daumal oder Alfred Jarry in ihrem Programm führten, waren in den neunziger und frühen zweitausender Jahren bereits verschwunden; die neueren Kleinverlage beschäftigten sich mit anderen Autoren, und die großen Publikumsverlage, selbst diejenigen unter ihnen, die sich als Kanonisierungsinstanz und Hüter der klassischen Moderne definierten, scheuten das Risiko, Autoren zu verlegen, deren Werke nur für ein sehr kleines Publikum bestimmt zu sein schienen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass wir das ein oder andere unserer Bücher mit einem anderen Verlag hätten machen können; aber ein eigenständiges, aus finanzieller Sicht durchaus riskantes Programm, wie es letztlich bei zero sharp vorliegt, war nur durch die Gründung eines eigenen Verlags möglich, der eine bis dahin unbeachtet gebliebene Lücke ausfüllte.

Die Bände von zero sharp zeichnen sich durch ihre markante Gestaltung aus. Sie inkorporieren neben den Haupttexten viele andere Materialien, vor allem Illustrationen. Wie wichtig sind solche paratextuellen Elemente? Was für eine Rolle spielt die Buchgestaltung dabei? Worauf zielen Sie mit dem Gestaltungsstil des Verlags?

Anton Stuckardt: Die Gestaltung unserer Bücher leitet sich aus den jeweiligen Schreibverfahren, sprachlichen Eigenheiten und Textformen der Autoren her. Ähnlich wie bei Roussels „aide-imaginations“ beginnt die Gestaltung beim einzelnen Buchstaben, aus dem sich alle weiteren Elemente – Satzspiegel, Illustrationen, Aufbau, Format, Papier bis hin zur Covergestaltung – entwickeln. Diese Art der Gestaltung folgte eigentlich sehr natürlich aus den Ansätzen zur Übersetzung, aus der Überlegung, dass wir die Texte nicht in einen literaturwissenschaftlichen Kanon einbinden, sondern gerade ihre jeweils sehr eigenwilligen Fiktionen möglichst unmittelbar wirken lassen wollten. So wie die Generatoren der Texte zu einer sprachlichen Form und Vorstellungswelt führen, so wie im Mittelpunkt unseres Programms eine gewisse Materialität der Worte steht, führen sie eben auch zu einer materiellen Form der Bücher. Wir finden die Auffassung, dass Typographie ein möglichst neutraler und leserlicher Behälter für Text sein sollte, sehr befremdlich. Genauso wie die Sprache in den Texten unserer AutorInnen nicht bloß der Beschreibung einer Handlung dient, sondern die Handlung erst hervorbringt, bringt sie auch ihre typographische Form hervor.

Im Ansatz sind solche Überlegungen im Werk der Autoren bereits angelegt: Roussel bedient sich in den Neuen Eindrücken aus Afrika eines seltenen Ausschießschemas (d. h. Anordnung der Seiten auf dem Druckbogen), das es ihm erlaubt, jede der neunundfünfzig Illustrationen des Buches im unaufgeschnittenen Zustand zwischen den Textseiten zu verbergen. Die Wichtigkeit dieser Form für Roussel zeigt sich auch daran, dass eine der Illustrationen einen Mann darstellt, der an einem Tisch sitzt und ein Buch liest, ohne dessen Seiten aufzuschneiden. Hätten die finanziellen Mittel gereicht, hätte Roussel die verschiedenen Textebenen durch insgesamt sieben Schriftfarben statt durch Parenthesen voneinander unterschieden.

Der Text und die Sprache sind auf essentielle Weise mit den Illustrationen und der Produktionsform des Buches verbunden. Die Illustrationen unserer Bücher spielen eine ähnliche strukturell gliedernde Rolle. So stehen sie oft zwischen den Haupttexten und den Nachworten, dem Quellenmaterial etc. oder folgen dem Aufbau des Textes. In Die Allee der Leuchtkäfer/FLIO zum Beispiel bilden sie ein diagrammatisches Spiegelbild der Verschachtelungen der Handlungsebenen und Motive; jeder Buchseite entspricht eine Zeichnung, in der ein System von Überschneidungen von Linien die Handlungsebenen und eine Reihe von Piktogrammen wiederkehrende Motive darstellen. In Jean-Pierre Brisset, Fürst der Denker übersetzen sie Brissets System von Homophonien in Lautbilder, die Illustrationen generieren sich unmittelbar aus der typographischen Form der Wörter. So wie die Typographie der Texte selbst den Wörtern konkret eine Form verleiht, so handelt es sich bei den Illustrationen meistens um abstrakte Zeichensysteme, die diese Form in einem größeren Maßstab spiegeln; sie bilden den Knotenpunkt zwischen den Texten und ihrer materiellen Form als Buch. Die Bücher auf diese Weise gestalten zu können, ist sicher ein weiterer Grund gewesen, einen eigenen Verlag zu gründen, der kein einheitliches Erscheinungsbild hat.

Man könnte sagen, dass manche Bücher von zero sharp nicht nur Übersetzungen sind, sondern Dokumentationen: Der Brisset-Band sammelt und übersetzt mehrere Texte zum Autor, die von einem langen Einleitungsaufsatz begleitet werden; Roussels Neue Impressionen aus Afrika enthalten neben dem Wiederabdruck von Hanns Grössels Übersetzung zahlreiche Beiträge zum Text (u.a. von Michel Leiris, Raymond Queneau und Salvador Dalí). Insofern ist Ihre Arbeit auch eine redaktionelle, vielleicht sogar eine akademische. Was sind die Schnittstellen von Übersetzung und Universitätsarbeit? Wird die Übersetzungsarbeit für die akademische Laufbahn unterschätzt?

Maximilian Gilleßen: Das Übersetzen bildete für mich stets einen Teil einer größeren verlegerischen und dokumentarischen Tätigkeit. Gewiss: Zunächst geht es darum, die entsprechenden Texte überhaupt ins Deutsche zu übersetzen oder lange vergriffene Übersetzungen wieder zugänglich zu machen. Die meisten der von uns verlegten Werke verlangen nun aber nach einer historischen Kontextualisierung, nach einer Darstellung ihrer formalen Prinzipien, um sich dem Leser erschließen zu können. Über Autoren wie Roussel und Daumal, geschweige denn Brisset und de Pawlowski, ist in Deutschland fast nichts bekannt; die ersten Ansätze zu einer Rezeption liegen bereits einige Jahrzehnte zurück. Das machte die Ausstattung unserer Bücher mit umfangreichen Nachworten zu Leben und Werk des Autors, mit Quellenmaterial und Äußerungen anderer – zumeist bekannterer – Künstler und Schriftsteller geradezu notwendig. Jedes unserer Bücher ist aus einer intensiven Forschungsarbeit hervorgegangen, und ich habe den Verlag in der Form, in der wir ihn betreiben, stets als eine Institution verstanden, die der Aneignung, Umwandlung und Weitergabe von Wissen dienen soll. Was die verlegerische Arbeit von der akademischen unterscheidet, ist ihr besonderer Bezug zum Buch als Objekt, sowie ihre Einbindung in ökonomische Verhältnisse, wobei es nicht nur um die Frage der Rentabilität, sondern um zahllose weitere praktische Notwendigkeiten geht: Wie findet oder schafft man sich ein Publikum, welche Beziehungen pflegt man zum Buchhandel, wie werden die Bücher distribuiert? Das Theoretische und das Praktische sind in der Verlagsarbeit eng miteinander verbunden, vor allem, wenn sie, wie in unserem Fall, keiner strengen Arbeitsteilung unterliegt. Vor diesem Hintergrund würde ich einen sehr weit gefassten Begriff von Übersetzung vertreten, der nicht nur die Übertragung des in einer Sprache Gesagten in eine andere, sondern die Einschreibung eines Textes in die materielle Form des Buches und seine Distribution im weitesten Sinne bezeichnet.

Zum Verhältnis zwischen Übersetzungsarbeit und akademischer Laufbahn kann ich keine eindeutige Antwort geben. Ich denke hier an Werner Hamacher, der Werke von Lacan, de Man und Jorie Graham, an Friedrich Kittler, der Derrida, oder Joseph Vogl, der Deleuze übersetzt hat; ich denke auch an die wichtige Arbeit, die Esther von der Osten leistet. In all diesen Fällen gab und gibt es eine enge Verbindung zwischen Übersetzung und Universität. Bestimmte Theorieformationen haben erst durch die Übersetzung eine breitere Rezeption erfahren und sind derart zu festen Bezugspunkten der Geisteswissenschaften geworden. Man könnte hier viele weitere Fragen nach dem Verhältnis zwischen Aneignung und Verfremdung, zwischen Theorie und Literatur stellen; auch danach, warum das Übersetzen immer noch so oft als eine sekundäre, passive, rein reproduktive Tätigkeit aufgefasst wird. Feststellen lässt sich auf jeden Fall eines: Die Übersetzung wird notwendig gewesen sein.