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© Wiebke Formella

 

Dieser Bericht ist authentisch. Oder auch nicht. Wie kann man Authentizität mit Authentizität behaupten? Oft wird argumentiert, dass ein Subjekt von sich selber nicht aussagen könne, er*sie sei authentisch. Dahinter steckt die Annahme, dass (Selbst-)Reflexion der Gegensatz zu Unmittelbarkeit (als wichtiger Bestandteil der Authentizität) sei. Sobald eine Person also feststellt, sie sei authentisch, ist sie es schon nicht mehr. Wir können, wenn überhaupt, nur implizit versuchen authentisch zu sein, also den kulturellen Konventionen der Authentizität zu entsprechen. Das widerlegt auch unsere performative Behauptung: Der Bericht ist authentisch. Aber von außen, durch ein anerkennendes Gegenüber (Du/Sie als Blogleser*in), kann unser Bericht trotzdem als authentisch legitimiert werden.

Also: Dieser Bericht als Blogpost ist authentisch. Ein solcher Satz jedoch setzt eine weitere Kaskade an Fragen in Bewegung. Wenn wir als Wissenschaftler*innen diesen Satz betrachten, sollten wir die Akteur*innen und materiellen Bedingungen eines Blogs verstehen: das Medium ‚Blog’, die Verfasser*innen und die Unterscheidung zwischen der Aussage des Blog-Texts und des*der Blogger*in.

Aber dennoch behaupten wir Bloggerinnen, unser Bericht sei eine authentische Aussage über den Verlauf und die Ergebnisse unseres im Rahmen der Friedrich Schlegel Graduiertenschule für literaturwissenschaftliche Studien (FSGS) organisierten Workshops. In einer 1,5-tägigen Veranstaltung, bestehend aus Abendvortrag und eintägigem Workshop, haben wir die narrative Konstruktion von Individualität, Intimität und Authentizität im Weblog diskutiert. Die zugrundeliegenden digitalen Erzählformen fassten wir titelgebend unter dem Begriff ‚Homo Narrans 2.0‘ zusammen.

Den Beginn unserer Veranstaltung machte am 26. April der Abendvortrag von Dr. Dr. Christina Schachtner (Alpen-Adria-Universität Klagenfurt). Sie referierte die Ergebnisse ihres letzten Forschungsprojekts über verschiedene Arten von Narrativität in Blogs aus verschiedenen Ländern.

Dabei stellt Christina Schachtner sechs narrative Typen heraus:

  • Selbstinszenierungsnarrationen
  • Vernetzungsnarrationen
  • Händler- und Verkäufernarrationen
  • Grenzmanagementnarrationen
  • Verwandlungsnarrationen
  • Auf- und Ausbruchsnarrationen

Zusammenfassend und in den Worten ihres Vortragstitels: „We have a lot of stories.” Im Mittelpunkt von Christina Schachtners Keynote stand die Auseinandersetzung mit dem „Was, Wie, und Warum des Erzählens im Digitalen Zeitalter”. Anhand zahlreicher Beispiele aus ihrer eigenen empirischen Forschung betonte sie das Wechselspiel zwischen privatem und öffentlichem Raum („Was”) und die zentrale Bedeutung der Selbstoffenbarung im Blog („Warum”). So privat oder gar intim diese Offenbarungen innerhalb der Blogosphäre auch wirken mögen, Schachtner entlarvte sie als multimedial inszenierte Selbstentwürfe. Diese seien nur möglich dank der subjektiv wahrgenommenen Anonymität im Netz. Schließlich sei Bloggen auch immer mit Verletzlichkeit verbunden, so eine zentrale Hypothese ihrer Forschungsarbeit. Darüber hinaus erwiesen sich Schachtners Beispiele als Schauplätze gebrochener kultureller Tabus. Sie sind Orte lebensbedrohlicher politischer Äußerungen, etwa im Falle einer iranischen Bloggerin. Und sie sind Foren enthüllter Geheimnisse über die Blogger*in selbst oder die Menschen im Umkreis.

Für unseren Workshop war aber besonders das „Wie” interessant: die Narrativität dieser digitalen Selbstinszenierungen. Ihr widmeten wir den ersten thematischen Block des Workshops. Die Grundlage dafür bildeten Texte von u.a. Marcel Schwierin, Marc Ries und natürlich Christina Schachtner. Schachtner zufolge sind die subjektivierenden Narrationen diaristischer Blogs narrative Puzzlestücke. Sie seien transmedial, gemeinschaftlich, und, vielleicht für Literaturwissenschaftler*innen überraschend, die Narrationen sind strukturell endlos. Zudem stellt Schachtner die These auf, dass die Fragmentierungen innerhalb der Selbsterzählungen eine Antwort auf die Pluralisierung der Lebenswelten ihrer Autor*innen seien. Dem Auseinanderklaffen tradierter Vorstellungen von Einheit (z.B. Nation und Kultur) sowie dem Verschmelzen zuvor klar getrennter sozialer Bereiche (z.B. Arbeit und Freizeit, virtuelles und materielles Leben) begegnen die Blogger*innen in ihren Identitätsentwürfen ebenfalls mit Pluralität. Das Erzählen dient dabei als Bindeglied. In der Narration lassen sich die Fragmente zu einer kohärenten Einheit verbinden. Ein zentrales Ergebnis unserer Diskussion im ersten Block lautete, dass Selbstinszenierung und Intersubjektivität eng miteinander verwandt sind. Sie setzen jeweils ein Wechselverhältnis zwischen Selbst und Anderem in Gang und treten durch dieses Wechselverhältnis erst hervor. Dieser Aspekt wiederum warf folgende Fragen auf: Wie können Strategien der Selbstinszenierung und die Entwicklung von Intersubjektivität für das Verständnis des Bloggens als Prozess der Anerkennung hilfreich sein? Wie können verschiedene Formen der Selbstinszenierung Anerkennung bewirken? Wo kann die Grenze gezogen werden zwischen der Schaffung eines idealisierten Selbst zum Zweck der Bewunderung und einer wirkungsvollen Gegenerzählung zur Subjektivität eines Anderen?

Im zweiten thematischen Block des Workshops haben wir uns intensiver mit den Diskursen um Kreativität und Selbstverwirklichung beschäftigt. Im Mittelpunkt des Diskussionsblocks stand die Betrachtung von Authentizität, Individualität und Intimität als narrativ erzeugte und intersubjektiv vermittelte Konzepte im Tagebuch-Blog. Vor allem kreiste die Diskussion dabei um die Konzeption von Authentizität: Wann ist etwas bzw. jemand authentisch? Wie lässt sich in der Bloglektüre eine Objekt- von einer Subjektebene trennen? Wie spielen andere Konzepte und Diskurse wie Individualität, Kapitalisierung des Selbst, Kreativitätsökonomie, Intimität etc. mit hinein? Textgrundlage hierfür bildeten Texte u.a. von Jörn Lamla und Susanne Knaller.

Als wesentliche Erkenntnis der Sitzung lässt sich festhalten:

Die drei Konzepte Individualität, Authentizität und Intimität stehen im Blog in unmittelbarem Zusammenhang. Damit ein Subjektivierungsentwurf als gelungen (also anschlussfähig) empfunden und sich erfolgreich auf den neu entstandenen digitalen Identitätsmärkten behaupten kann, muss er sowohl als individuell als auch als authentisch wahrgenommen werden. Im Medium Blog muss die Illusion einer tatsächlichen, unverstellten Person entstehen. Intimität ist dabei sowohl Vermittlerin als auch wichtiges Nebenprodukt. Dabei kann man bestimmte Interaktionen und Formen in den Sozialen Medien als direkte Antwort auf die Zeitdiagnose eines Verschwindens von Intimität im sozialen Raum lesen. Gleichzeitig oszillieren die drei Konzepte in ihrem digitalen Gebrauch sehr stark zwischen demokratisierender Sichtbarmachung und Kapitalisierung.

Also können wir mit neuer Entschlossenheit behaupten: Dieser Bericht ist authentisch. Haben wir genug Individualität gezeigt? Genug Intimität aufgebaut?

Vielleicht braucht man ein paar Beispiele, um sehen zu können, was wir meinen. Dann lies/lesen Sie zu Ende, scrollen wieder nach oben, lies/lesen Sie nochmal. Oder auch: In den ersten zwei Blöcken des Workshops hatten wir eher theoretische Grundsätze von Narrativität, Authentizität, Individualität und Intimität diskutiert. In Block III ging es um die konkrete Bloglektüre. In diesem Zusammenhang haben wir uns mit Tavi Gevinsons The Style Rookie und Stephanie Sargnagels Blog beschäftigt. Wir diskutierten deren individuelle Schreibstile und Transmedialität sowie ihre möglichen Leserschaften anhand der zuvor betrachteten theoretischen Konzepte. Folgende Fragen schlossen sich für uns an die Veranstaltung an: Inwiefern unterscheidet sich dieses Erzählen von Authentizität, Individualität und Intimität von prä-digitalem diaristischen Erzählen? Welche Erzähltechniken haben sich im Kontext von Social Media entwickelt? Warum geht es beim Bloggen thematisch verstärkt um Alleinsein und Isolierung, obwohl gleichzeitig der persönliche Austausch so stark betont wird?

Abschließend war ein wichtiger Aspekt des Workshops die Differenzierung verschiedener Formen und Perioden diaristischer Blogs. Besonders kritisch betrachtet wurde dabei die Entwicklung des „Lifestyle Blogs”, der vornehmlich einen gesteigerten Grad an Kommerzialisierung und eine Konformität zum kulturellen Kapitalismus aufzuweisen scheint. Ganz im Gegensatz dazu standen subversivere narrative Subjektentwürfe, die wiederum die Frage aufwarfen: Wie ist es vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Norm der Individualität überhaupt noch möglich, Individualität zu erzählen?

Wie könnte man also von unserem Bericht nicht sagen, dass er authentisch ist? Andererseits könnte man unsere Behauptung sogar völlig ihrer Grundlagen entziehen und fragen: Warum muss der Blog überhaupt noch authentisch sein?

Text Organisation: Katharina Warda, Dorothea Trotter, Astrid Sophie Øst Hansen

Posted in Aktuelles and tagged BlogsNarrativitätChristina Schachtnersocial media on July 6, 20183 Comments Edit

 

2 COMMENTS

  1. Pingback:  Homo Narrans 1.0
  2. I read for fun

Interessanter Workshop. Habe einiges gelernt und musste neu über den konstruierten Aspekt des Bloggens nachdenken. Nur wollte ich wissen, ob ihr euch im Rahmen des Workshops auch über Counter-Storytelling unterhalten habt. Wie ihr bestimmt wisst, gibt es viele Geschichten die nicht erzählt werden. Ich finde, dass (meist) unzensierte Blogs sich als Werkzeuge zum Aufdecken, Analysieren und Herausfordern der mehrheitlichen Geschichten von Rasse, Positionalität und Autorität eignen. Obwohl es heute so viele Blogs gibt, die nur als Werbespots dienen, könnte man sagen, dass Blogs an sich immer noch eine tolle Sache sind.

July 6, 2018 at 21:25 Edit

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  1. Dorothea

Hi I read for fun!

Gut bemerkt. Wir haben uns tatsächlich über Counter-Storytelling unterhalten und obwohl es nicht im Bericht steht, hat Schachtner auch Blogs untersucht, die das Thema Zensur (vor allem in autokratische Regimen) und LGTBQ-Rechte auf der Blog-Plattform in einer Weise ansprechen, die in der materialen Öffentlichkeit nicht möglich ist. In diesem Zusammenhang haben wir jedoch als Gruppe darüber nachgedacht, inwieweit die Blogs für ein internationales Publikum gedacht sind und nicht für die Leute, gegen die sie gerichtet sind.

Ich finde auch, es gibt viele Aspekte, die einem beim Lesen eines Blogs nicht bewusst sind. Diejenigen, die Blogs schreiben, sind sich dessen vielleicht auch nicht bewusst.

Danke für’s Lesen und für Deinen Kommentar!

Edited to add: jetzt steht es im Bericht

July 6, 2018 at 21:30 Edit

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